Run!

360° GEO | August 2009 | Neuseeland | Making OF |

Ich hatte mich nie vor einem gebrochenen Nasenbein gefürchtet. Auch in den finstersten Ecken der Welt war ich stets zuversichtlich, heil wieder nach Hause zu kommen. In Neuseeland war das anders. Dem gesamten Team wurden gleich zu Anfang Prügel angedroht, unsere Kameraausrüstung sollte gestohlen und unser Auto angezündet werden.

Was für ein garstiger Empfang! Ich glaube, wir wären sofort wieder umgekehrt, wenn wir nicht gleichzeitig auch extrem herzliche und hilfsbereite Menschen getroffen hätten, wie zum Beispiel unsere beiden Hauptpersonen: Frances, die charmante Organisatorin des Marathon und Lillac, die zuversichtliche Spitzensportlerin. Danke Frances! Und danke Lilac!

Den ruppigen Empfang verdankten wir einer Gruppe kämpferischer Maori. Sie setzen sich für die Kultur der Urbevölkerung ein, was ja eine gute Sache ist… Allerdings ging es in unserem Fall um mehr. Es ging um den Spaß am Streiten.

Ständig wurde uns von irgend jemanden klar gemacht, dass wir unerwünscht seien. Bauten wir auf öffentlichen Wegen unsere Kamera auf, dauerte es nie lange, bis sich irgend jemand in den Weg stellte. Drehen verboten! So einfach mal den Himmel über dem Strand filmen? Von wegen! Die Steine am Ufer? Nichts da! Mit den abenteuerlichsten Begründungen stellte man sich quer.

Am streitlustigsten waren die Frauen. Und leider waren unsere Kulturwächterinnen oft ziemlich kräftig gebaut. Prügeleien am Drehort sind zu vermeiden – nach meinem Verständnis jedenfalls. Unsere Aufpasser und Aufpasserinnen sahen das anders. Entwischen war schwer, denn es gab ein gut funktionierendes Beobachternetz, das uns stets im Blick hatte. Wir fühlten uns wie Mäuse, mit denen Katzen noch einmal ‚lustige Spielchen’ treiben, bevor sie gefressen werden.

Die Hardliner wollten ihre Heimat zwar vorgestellt haben – aber nicht von Fremden. Schon gar nicht von Europäern, die im weitesten Sinne aus der Ecke der ehemaligen Kolonialherren stammen. Die Aktivisten wollten absolute Kontrolle über das Gezeigte und für jeden Kleinkram demütig gefragt werden. Eine wasserdichte Zensur. Keine Spur von freier, fairer Berichterstattung.

Auch stundenlange Diskusisonen führten zu nichts. Nach der ersten Sitzung mit Stammesvertretern war ich eigentlich guter Dinge. Da wusste ich noch nicht, was uns blüht. Nach endlosen Freundschaftsbekundungen, Absichtserklärungen und gemeinsamen Plänen schien alles gut zu sein. Uns wurde fröhlich die Gegend gezeigt, man lachte, scherzte und ging zusammen Kaffee trinken. Am nächsten Tag war dann alles Wohlwollen vergessen.

Damit kein falsches Bild entsteht: die allermeisten Maori waren extrem freundlich und sehr irritiert vom Geschehen. Sie waren peinlich berührt von den Hürden, die uns von den selbsternannten Kulturwächtern in den Weg gestellt wurden. Das Miteinander an Neuseelands Nordspitze funktioniert normalerweise ausgesprochen gut und friedlich. Wir hatten wohl einfach Pech.

Höhepunkt der Garstigkeiten war unser Abschiedsfest, zu dem wir ‚eingeladen’ wurden. Ich hatte es als eine Art Treffen zum Wogenglätten verstanden. Und so sah es anfangs auch aus. Wir wurden begrüßt, bekocht und befragt. Wir haben eine herzliche Rede gehalten und vor versammelter Mannschaft ein Lied gesungen – was ausdrücklich erwünscht war. ‚Der Mond ist aufgegangen’ hatte aber keine beruhigende Wirkung. Nach dem Ausklang wurden wir vor versammelter Mannschaft in eine Art Kreuzverhör genommen, in der jeder noch einmal verbal auf uns draufhauen durfte.

Ich habe noch die Zähne zusammen gebissen, als einer der Redner uns gemeinsam zu Nazi-Sympathisanten machen wollte. Die Maori und die Deutschen seien doch „seelenverwandt, große Krieger“. Schon Himmler hätte betont, den Krieg gewonnen zu haben, wenn alle deutschen Soldaten so talentierte Kämpfer wie die Maori gewesen wären.

Minuten später wurde die Geschichte dann noch einmal missbraucht – genau so abenteuerlich wie falsch. Eine Dame in der Runde, die eben noch mit uns gescherzt hatte, besann sich auf den jüdischen Anteil in ihrer Familiengeschichte. Urplötzlich konnte sie unsere Anwesenheit im Lande nicht mehr ertragen.

Als uns dann noch deutlich gemacht wurde: „Ihr werdet das Land nicht mit dem Drehmaterial verlassen“, hatten wir nur noch einen Wunsch: nach Hause.

Das haben wir auch geschafft. Und zwar mit dem Filmmaterial. Die Zeit war auf unserer Seite. Irgendwann verloren die verbalen Steinewerfer die Lust an uns. Nach und nach leerte sich der Raum. Irgendwann verlor auch der Letzte die Lust am Kleinkrieg, legte mir den Arm auf die Schulter und meinte: „Nimms nicht persönlich“. Im Rückblick denke ich: wir waren eine Art Unterhaltungsprogramm. Allerdings zweifle ich bis heute nicht daran, dass mein Nasenbein ernsthaft gefährdet war.

Übrigens: der Film ist sehr schön und harmonisch geworden. Er ist den herzlichen und hilfbereiten Menschen vom 90 Mile Beach gewidmet.