Gekochter Hund
360° GEO | Mai 2005 | Hainan | Making OF |
„Hainan? Nie gehört… Wo liegt das denn doch bloß?“ Wann immer wir erzählten, dass wir zum Drehen auf die Insel Hainan fliegen wollen, ernteten wir ratlose Blicke. Kaum ein Europäer weiß, wo diese tropische chinesische Insel eigentlich liegt – geschweige denn, wie es da aussieht. Für Chinesen ist das einfach unfassbar, immerhin machen Jahr für Jahr rund 12 Millionen Asiaten dort Urlaub. Gäste aus der westlichen Welt spielen praktisch keine Rolle, was unter anderem an der beschwerlichen Anreise liegt. Das war allerdings nicht der Grund dafür, dass unsere Drehreise fast geplatzt wäre. Es lag an der Bürokratie: Wir bekamen monatelang keine Drehgenehmigung. Und ohne staatlichen Segen läuft in Sachen Filmerei gar nichts in China. Sämtliche Faxe, E-Mails, Telefonate und persönliche Anfragen blieben ohne Reaktion. Es herrschte einfach Funkstille. Erst 26 Stunden vor Abflug gab es grünes Licht für die Arbeitsvisa. Zu diesem Zeitpunkt glaubten eigentlich nur noch Kameramann Holger Heesch und ich an die Reise.
Als wir nach 24 Stunden Flugzeit, inklusive der üblichen Verspätung beim Umsteigen in Peking, auf Hainan ankamen, waren wir in einer anderen Welt: Hainan empfängt einen laut, turbulent und warm. Anfang Dezember lag die Temperatur bei angenehmen 29 Grad.
Erste Bewährungsprobe auf der Insel war die Fahrt zur Unterkunft. Ausgestattet mit einem chinesischen Führerschein, verzichteten wir während der dreiwöchigen Reise auf den üblichen Fahrer und stürzten uns selbst in den Verkehr – der für jeden braven Mitteleuropäer ein wahrer Alptraum ist. Es scheint nur eine einzige Verkehrsregel zu geben: „Ich zuerst!“ Auf der Autobahn wenden? Kein Problem! Auf den Gegenverkehr achten? Niemals! Abblenden? Machen nur Schwächlinge! Fahrradfahrer oder Fußgänger leben in ständiger Gefahr. Dass ein Ausländer hier Auto fährt, ist völlig unüblich. Also fiel Einheimischen ständig der Unterkiefer runter, wenn wir als Europäer die Scheibe runterdrehten und uns lauthals an der Verkehrsregelung beteiligten. Überhaupt wurden wir meistens angeguckt wie der Mann vom Mond. Im Landesinneren rannten die Leute entweder weg oder wollten uns mal anfassen. An der Küste, wo die chinesischen Touristen ankommen, wollten sie mit uns fotografiert werden.
Hainan hat wunderschöne Strände. Nicht umsonst heißt es: „Hainan ist wie Hawaii!“ – Und noch dazu sind diese traumhaften Paradiese aus Sand meist menschenleer. Wir sind für unsere Aufnahmen kilometerweit gewandert, ohne irgend jemandem zu begegnen. Für die chinesischen Urlauber sind solche Orte eher unattraktiv – da passiert ja nichts. Die Millionen asiatischen Gäste findet man zielsicher dort, wo es besonders laut ist: in gigantischen Strömen drängeln sie sich durch Strandparks, Vergnügungsparks, Kulturparks… Der typische chinesische Tourist bewegt sich dabei gern in straff organisierten Gruppen und trägt kreischbunte, schlafanzugähnliche Urlaubskleidung – eine Art Hawaii-Hemd-Hose-Kombination.
Furcht vor Lärm gibt es nicht. Im Gegenteil. Wer als Insulaner etwas auf sich hält, zeigt, was er akustisch drauf hat. Wer eine Steckdose und eine Hi-Fi-Anlage hat, dreht voll auf. Egal, wo man ist… Selbst in der Idylle der Berge, wo es wie im schönsten China-Bildband aussieht, waren wir nie überrascht, wenn aus einer klapprigen, abgeschiedenen Hütte lautstarkes chinesisches Techno-Gewummer dröhnte. Die meisten Urlauber auf der Insel scheint das nicht zu stören – im Gegenteil. Nicht einmal die vielen Verliebten, die auf der Insel heiraten wollen. Honeymoon auf Hainan hat nichts mit der Idylle und Romantik zu tun, die europäische Paare auf einer Tropeninsel vermuten… Auch das Hochzeitspaar, das wir für den Film mit der Kamera begleiteten, hat eine ausgeprägte Vorliebe für Lärmquellen.
Für uns war es eine spannende und lehrreiche Drehreise in eine exotische Welt. Wir haben oft überlegt, was wir selbst denn ausprobieren oder mitmachen möchten – aus Spaß, aus Neugierde oder aus Höflichkeit. Also: Wir haben keine bunten Touristen-Schlaf-Anzüge gekauft, aber wir haben uns in heißen Quellen von Fischen anknabbern lassen, wir haben die Einladung zu Schnaps mit Schlangen- und Insekten-Einlagen angenommen (zum Schluss gab es nur noch Insekten…), aber nicht jeder von uns hat die Einladung zu „würzig gekochter Hund“ begrüßt.
Nur eines haben wir wirklich vermisst: Weihnachtsstimmung. Immerhin drehten wir in der Adventszeit. Wir sind erst einen Tag vor Heiligabend wieder in der Heimat eingetroffen – aber das reichte, um sich im Eilverfahren auf Weihnachten einzustellen: Tannenbaum statt Palmenwedel, Glühwein statt Hornissenschnaps und vor allem stille Nacht statt dröhnende Nacht…